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Invisible

Michi
von

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Invisible

Invisible
 

Ein schrilles Kreischen. Eine Durchsage. Ein Pfeifen. Dann hielt der Zug im Bahnhof von Shibuya, Tokio.

Ein brünettes Mädchen hievte ihren schweren, pinken Koffer aus dem Gepäcknetz und schob sich die übergroße Sonnenbrille über die Augen, dann schob sie sich mit den Dutzenden anderen Fahrgästen auf den vollen Bahnsteig,Beim Aussteigen verhakten sich die Rollen ihres Koffers in einem Rost für Abwasser. Fluchend versuchte sie ihn zu befreien, doch er saß zu fest.
 

„Darf ich Ihnen vielleicht helfen?“, ein junger Mann, vielleicht um die zwanzig, mit Hut und Aktentasche lächelte sie freundlich an.

Sie setzte ihr süßestes Lächeln auf:

„Oh ja, bitte, Sir, das wäre wirklich nett.“

An seinem Akzent erkannte sie, dass es sich um einen Engländer handelte. Er sprach noch nicht lange Japanisch, aber hatte es wahrscheinlich auch nur für seinen Job lernen müssen.
 

„Aber die Rollen sitzen wirklich fest!“

„Aber Sie sprechen ja perfektes Englisch. Kommen sie aus Amerika? Ich erkenne ihren Akzent“, er musterte sie neugierig. Sie lachte:

„Nein, eigentlich bin ich Japanerin, aber ich lebe seit vier Jahren dort.“

„Und was verschlägt sie jetzt zurück nach Japan? So ein junges Mädchen und dann ganz alleine.“

„Ich schätze mal das Heimweh“, seufzte sie, „und außerdem hat mich meine Großmutter zu sich eingeladen und wenn ich nicht kommen würde, würde sie nie wieder ein Wort mit mir sprechen.“ Der fremde Mann lachte laut:

„Ja, das kenne ich aus persönlicher Erfahrung! Dann will ich Sie auch nicht weiter aufhalten. Ich habe es selber eilig, also packen wir es mal an!“

Er klatschte in die Hände und zog dann mit einem Ruck den widerspenstigen Koffer mühelos aus dem Rost.

„Vielen Dank, Sir!“, strahlte das Mädchen ihn an.

„Keine Ursache“, er zog kurz seinen Hut, „aber dürfte ich auch den Namen der Lady erfahren?“

Sie kicherte:

„Aber natürlich. Ich bin Mimi Tachikawa und Sie?“

„Sagen wir ein ehrenwerter Helfer“, er zwinkerte ihr zu und sprang dann auf das Trittbrett des nächsten Zuges.

Mimi winkte ihn noch einmal dankbar zu und verschwand dann im Gedränge der Menschenmassen, die entweder gerade in Tokio ankamen oder verreisen wollten.
 

Seit fast zwei Jahren war sie nun nicht mehr in ihrer Heimatstadt gewesen. Der Stadt in der sie den Großteil ihrer Kindheit verbracht hatte und wahrscheinlich das größte Abenteuer ihres Lebens erlebt hatte.

Doch das alles war nur noch eine schmerzliche Erinnerung. Sie hatte sich geschworen nie wieder zurück zu kommen, um nicht noch einmal so einen Abschied durchmachen zu müssen: Doch jetzt war sie wieder hier. Und ihr blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass sie niemanden traf, den sie kannte. Besonders keinen ihrer alten Freunde.

Selbst wenn sie daran dachte zerbrach es ihr das Herz. Ein Teil von ihr wollte sie unbedingt wieder sehen. Sie alle. Umarmen. Sie anlächeln. Doch ein anderer, der Vernünftige, sagte ihr, dass es besser war, dass die zwei Wochen schnell umgingen und sie niemanden begegnen würde, der ihr den Abschied nur noch schwerer machte. Denn sie wusste, dass es dann fast unmöglich sein würde unbeschwert nach Amerika zurück zu kehren.
 

Sora, Takeru, Koushiro, Yamato, Hikari....sie konnte noch all ihre Gesichter vor sich sehen als wäre es gerade gestern gewesen, dass sie sie das letzte mal gesehen hatte.

„Nein Mimi!“, dachte sie streng und stampfte mit dem Fuß aus, sodass sie einige Leute seltsam anblickten, „du darfst nicht mal an sie denken!“

Entschlossen versuchte sie ihre Gedanken auf das Taxi zu lenken, dass sie vor hatte zu nehmen.
 

Sie stand noch nicht lange bei den Taxiständen, da hielt auch schon das erste an. Für Mimi war das nichts neues. Sie wusste welchen Effekt sie auf andere Leute hatte. Das unschuldige, kleine Mädchen. Auch noch mit siebzehn.

Der Taxifahrer half ihr den verwünschten Koffer auf den Rücksitz zu laden, weil sie unbedingt daneben sitzen wollte und fuhr sie dann zu dem Haus ihrer Großmutter.
 

Die Häuser und Bäume, die an ihr vorbei zogen kamen ihr vertraut vor und sie stellte mit leichter Zufriedenheit fest, dass sich nicht viel verändert hatte. Außer vielleicht der neuen Telefonzelle, die jetzt direkt neben dem Hochhaus stand, in dem ihre Großmutter lebte. Das gleiche Haus, indem auch sie mit ihren Eltern mal gewohnt hatte.

Mimi schluckte und konnte ihren Blick gar nicht von den Fernstern ihrer alten Wohnung neben, als sie ausstieg.
 

Nachdem der Taxifahrer noch seinen Lohn erhalten hatte und davon gefahren war, stand sie alleine mit ihrem Koffer vor dem großen Haus und wusste nicht so Recht, was sie denken oder tun sollte.

In dem Fenster hinter dem mal ihr Zimmer gewesen war, hingen quietsch-gelbe Gardinen. Sie hasste gelb.
 

Schnell schüttelte sie mit dem Kopf um wieder klar denken zu können. Für einen Moment hatte sie fast angefangen zu weinen. Doch nun besann sie sich wieder und ging mit festen Schritten zur Eingangstür.

Ihre weißen Cowboystiefel wurden ganz grau, doch dieses mal störte sie das nicht.

Sie klingelte.

Die Türschilder waren noch genauso vergilbt wie damals. Es schienen auch dieselben Leute dort zu wohnen. Nur ein Türschild hatte sich geändert. Früher stand dort in geschwungenen Buchstaben: Tachikawa. Jetzt war das Klingelschild leer. Ob die Leute nicht wollten, dass man ihren Name kannte? Oder waren die Gardinen bloß Überbleibsel einer Familie, die nicht lange hier gewohnt hatte? Das West End Viertel gehörte zu den unbeliebtesten Teile der Stadt. Zu viele Dinge waren hier geschehen. Dinge, die Angst machen. Dinge, von denen nicht mal viele wussten, warum sie geschehen waren.
 

Der Summer riss sie aus ihren Gedanken und etwas umständlich quetschte sie sich und ihren Koffer durch die Tür. Dann stand ihr das nächste Problem bevor: Die Treppe. Wie sollte sie da ihre Koffer hoch bekommen?

„Brauchen Sie vielleicht Hilfe?"

Mimi wirbelte auf dem Absatz herum und blickte einen Jungen an, der gerade durch die Tür gekommen war. Er war vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als sie und hatte blonde, kurze Haare sowie blaue, offene und freundlich Augen.

„Takeru?", quietschte sie und zwinkerte ein Paar Mal mit den Augen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte.

Für einen Moment starrte sie der Junge erstaunt an, doch dann begann er zu strahlen:

„Kneif mich mal einer! Bist das wirklich du Mimi?“

Sie grinste ihn hinterhältig an und kniff ihm fest in den Oberarm.

„Au, verdammt, dass hat weh getan“, aber er grinste dabei. Dann fielen sie sich lachend in die Arme.
 

„Mensch, bist du groß geworden, Takeru. Ich hätte dich fast nicht erkannt. Du wirst deinem Bruder auch immer ähnlicher, aber-“

„Äh Mimi“, krächzte er.

„Ja?“

„Würdest du mich vielleicht los lassen? Du zerquetscht mich?“

„Äh, natürlich“, meinte sie und ließ ihn so schnell los als hätte sie sich verbrannt, trotzdem konnte man ihr das Lächeln nicht aus dem Gesicht wischen.

„Du hast dich kein bisschen verändert“, lachte Takeru. Mimi schlug ihm verspielt auf den Arm:

„Das meinst du doch sicher nicht ernst, oder?“

„Hm, ne, du bist eindeutig gewachsen“, er musterte sie von oben bis unten.
 

„Ja, man tut was man kann“, sie warf lachend ihre Haare zurück und wurde dann wieder ernst, „also steht dein Angebot noch?“

„Klar“, grinste er, „ich kann ja nicht verantworten, dass du die Treppe hinunter fällst und dir gleich an deinem ersten Tag in Tokio das Bein brichst. Was mich zu der Frage bringt, was du überhaupt hier machst. Du bist doch sicher ewig nicht mehr hier gewesen.“

Sie nickte bedauernd:

„Ja, leider. Aber ich habe gerade Ferien und da habe meine Eltern überredet doch mal meine Großmutter besuchen fahren zu dürfen.“
 

„Toll, die anderen werden sich bestimmt auch freuen dich wieder zu sehen“, erklärte er, während er sich daran macht ihre Koffer die Treppe hinauf zu schleifen, „Miyako bestimmt am meisten von allen. Sie hat ständig von dir erzählt. Ich glaube wirklich du bist wie eine große Schwester für sie.“

Mimi lächelte, als sie sich an das vorlaute, temperamentvolle Mädchen mit den großen Herzen erinnerte. Miyako war ihr wirklich sehr ähnlich und es erfüllte sie mit Stolz, dass sie in ihr so etwas wie ein Vorbild sah.

„Und was machen die anderen so?“

„Also von Jou haben wir lange nichts mehr gehört.Das letzte Mal vor zwei Jahren, als er mit dem Studium angefangen hat. Wer weiß, wo der sich herum treibt. Bestimmt, ist er bereits ein erfolgreicher Wissenschaftler.“

Mimi half ihm ein bisschen mit dem Koffer. Er war wirklich sehr schwer.

„Cody ist ebenso schwer zu erreichen wie Jou. Seit wir nicht mehr auf einer Schule sind habe ich nichts mehr von ihm gehört, was eigentlich sehr schade ist. Seine Freundschaft war mir wirklich wichtig.“

Auch Mimi tat das Leid. Cody war wirklich ein lieber Junge gewesen und sie wünschte sich wirklich ihn auch mal wiederzusehen. Immerhin musste er jetzt auch schon elf sein, wenn sie richtig gerechnet hatte.

„Und was ist mit Sora und deinem Bruder?“, wechselte sie das Thema.
 

Takeru lachte:

„Du weißt ja, dass die beiden ein Paar sind und ich glaube sie haben sich wirklich gesucht und gefunden. Viel habe ich Yamato in letzter Zeit nicht gesehen, weil er immer mit seiner Band beschäftigt ist, aber wenn, dann hat er meistens gute Laune. Besonders, wenn die beiden sich treffen.

Und Sora ist die beste Tennisspielerin unserer Schule. Vielleicht auch, weil mein Bruder sie bei jedem Match anfeuert. Im Gegenzug ist sie auf jedem seiner Konzerte. Die Arme tut mir richtig Leid, dass sie immer zwischen den Fan-Mädchen sitzen müssen, die ihrem Freund schmachtende Blicke zu werfen.“

„Ja, das klingt scheußlich. Ich würde mir das nie freiwillig antun“, stimmte Mimi ihm nachdenklich zu.

„Sie weiß aber, dass Yamato sie viel lieber mag als seine Fans. Ich glaube auch nicht, dass die beiden sich so schnell trennen.“

In Mimis Inneren begann es plötzlich etwas zu brodeln und sie stellte erstaunt fest, dass sie eifersüchtig war. Aber auf Sora? Ihre beste Freundin? Nur weil sie mit Yamato zusammen war?

Nein, korrigierte sie sich selbst, sie war eifersüchtig auf Sora, weil sie überhaupt einen Freund hatte.
 

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Takeru sie besorgt, als sie seufzte. Mimi schüttelte lächelnd den Kopf:

„Nein, nein, ich freue mich bloß für die beiden. Das ist alles.“

„Wo wir schon mal bei dem Thema sind...“, der jüngere grinste breit, „wie sieht es bei dir aus? Hast du in Amerika einen Freund?“

„Also, Takeru, ich fürchte du bist ein wenig zu jung für mich, oder?“, meinte sie scherzhaft. Der Blonde zog eine Augenbraue hoch:

„Findest du?“

Mimi lachte schallend und feixte dann:

„Du willst doch nicht etwa Hikari eifersüchtig machen, oder?“

Sie kicherte, als er knallrot anlief. Also hatten sich seine Gefühle für seine beste Freundin immer noch nicht geändert. Er war immer noch in sie verliebt.

„Wir sind jetzt zusammen“, meinte er leise und ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Echt?“, quietschte Mimi aufgeregt, „seit wann?“

„Seit einem halben Jahr“, murmelte er und fuhr sich verlegen durchs Haar.

„Wow, das freut mich wirklich für euch beide“, meinte sie und meinte es ernst. Doch sie hörte auch die böse in ihrem Hinterkopf, die ihr sagte, dass jetzt selbst schon die jüngsten von ihnen Beziehungen führten, während sie selbst noch nie mit einem Jungen zusammen gewesen war.
 

„Also wie sieht es bei dir aus?“, fragte Takeru erneut, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Ach“, meinte sie und machte eine abweisende Handbewegung, „du weißt doch das ich wählerisch bin.“

Er zog eine Augenbraue hoch:

„Das ist doch nicht dein ernst, oder? Heißt das, dass ausgerechnet du noch keinen Freund hast?“

„Es war eben noch nicht der Richtige dabei, klar“, fauchte sie, als müsste sie sich rechtfertigen.

„Es tut mir Leid“, seufzte Takeru entschuldigend, „das ist ja auch deine Sache. Ich hätte das nicht fragen dürfen.“ Sie lächelte ihn an.

„Schon in Ordnung. Ich genieße eben erstmal mein Single-Leben.“

Er nickte und sie erreichten, dass Stockwerk, indem ihre Großmutter wohnte.

„Vielen Dank für die Hilfe. Es war wirklich ein netter Zufall, dass du gerade in diesem Moment vorbei gekommen bist“, lachte sie.

Er schüttelte bescheiden den Kopf:

„Das war doch kein Problem. Außerdem wohnen meine Mutter und ich seit neustem eine Etage über deiner Großmutter.“

„Also deswegen bist du hier herein gekommen“, nickte Mimi, „trotzdem vielen Dank. Dann werden wir uns sicher noch öfters sehen.“

„Ja, bestimmt. Wie lange bleibst du denn?“

„Drei Wochen. Das reicht hoffentlich, um euch alle mal wieder zu sehen.“
 

„Wenn du willst, dann können wir morgen zusammen zu den Yagamis gehen. Neben mir werden Koushiro und Sora sicher auch dort sein. Yamato hat leider ein Konzert und Daisuke und Ken ein wichtiges Fußballspiel. Die beiden sind unzertrennlich. Wir wollen morgen ein bisschen Karten spielen und einfach den Nachmittag zusammen verbringen. Wie ich Frau Yagami kenne, backt sie sicher Kekse.“

„Oh ja, das wird sicher nett. Vielen Dank für das Angebot“, Mimi freute sich riesig. Auch wenn sie wusste, dass sie die Kekse von Hikaris und Taichis Mutter wohl eher meiden würde.

„Ich hol dich dann morgen um drei ab. Bis dann“, Takeru winkte zum Abschied und schoss die Treppen hinauf.
 

Als er gegangen war, atmete Mimi tief durch. Endlich war sie wieder angekommen und fühlte sich gleich noch viel besser, weil sie wusste, dass es den anderen gut ging.

Und morgen würde sie vielleicht einige von ihnen wirklich wiedersehen.

Ihr fiel erst jetzt auf, dass Takeru eine Person nicht erwähnt hatte und es war gerade die, die Mimi am meisten interessierte.

Auf die sie besonders gespannt war: Taichi Yagami.
 

Damals, als sie noch jünger war, hatte sie schrecklich für ihn geschwärmt. Außer Sora wusste das natürlich niemand und am wenigstens er selbst. Er war der erste Junge gewesen, in dem sie mehr gesehen hatte als nur einen Freund. Auch wenn man von „Liebe“ nicht wirklich reden konnte. Es war eben nur eine alberne Schwärmerei gewesen.

Was das spannenste and der Sache gewesen war, war, dass er sie nie wirklich bemerkt zu haben schien.

Viel mehr hatte seiner Aufmerksamkeit Sora gegolten und es gab eine Zeit, in der Mimi wirklich rasend eifersüchtig auf ihre beste Freundin gewesen war. Auch wenn sie es heute einfach nur lächerlich fand wie ruppig und egoistisch sie zu ihm und Sora gewesen war. Ob er noch genauso aussah wie früher?

Als sie älter wurden, hatte sie aufgehört ständig an ihn zu denken oder eifersüchtig zu sein. Sie wusste, dass Sora Yamato auf diese Weise mochte, aber Taichi das nicht zu verstehen schien. Das hatte sie enttäuscht und gerade als sie ihm gestehen wollte, was sie für ihn fühlte, waren sie nach Amerika gezogen.

Natürlich gab es danach noch Gelegenheiten ihm die Wahrheit zu sagen, aber immer waren andere dabei gewesen oder Taichi hatte sie mal wieder so sehr ignoriert, dass sie zu stolz war. Außerdem wollte sie nicht der Ersatz für jemanden sein, den er nicht haben konnte.
 

Sie fragte sich, ob die alten Gefühle wiederkehren würden, wenn sie ihm am nächsten Tag begegnete. Ob er noch immer genauso aussah wie früher? Oder ob er sich völlig verändert hatte? Vielleicht hatte er ja bereits eine Freundin.

Diese und andere Fragen stellte sich Mimi immer noch, als sie schon längst in dem Bett im kleinen Gästezimmer ihrer Großmutter lag und vor Aufregung kein Auge zu bekommen konnte.

Egal, was geschehen würde, sie nahm sich fest vor ihn wenigstens zu fragen, warum sie bis jetzt immer unsichtbar für ihn gewesen war.
 

Nach dem Frühstück ging Mimi mit ihrer Großmutter eine Runde spazieren. Es war ein sonniger Morgen und da Mimi so lange nicht mehr in Tokio gewesen war, wollte sie unbedingt noch einmal alles sehen, was ihr früher so wichtig gewesen war. Der kleiner Spielplatz, auf dem sie schon mal von dem Klettergerüst gefallen war oder ihre alte Schule.

Zudem brauchte sie eine Beschäftigung um die Zeit zu überbrücken.
 

Pünktlich um drei holte sie Takeru von zu Hause ab und sie gingen gemeinsam zu dem Haus, indem die Yagamis und auch die Izumis lebten. Nachdem Takeru die Klingel der Yagamis betätigt hatte, strich sich die Brünette ein paar Mal nervös über ihre Jeans.

„Warum bist du denn so aufgeregt?“, fragte der Blonde sie erstaunt, „wir sind doch alle deine Freunde und keine Fremden.“

„Ich habe aber Angst, dass sie sich zu sehr verändert haben. Oder ich mich. Was wenn sie mich nicht mehr erkennen? Oder mich vergessen haben?“

Er lachte und lächelte sie beruhigend an:

„Keine Angst. Dich kann man wirklich nicht vergessen.“

Sie war sich nicht sicher, ob es nun ein Kompliment oder eine Beleidigung sein sollte. Sie hatte nicht die Chance zu fragen, denn im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen und ein Mädchen, mit braunen Haaren und braunen Augen stand vor ihnen.

Mimi musste ein paar Mal hinschauen, um zu sehen, dass es sich wirklich, um die kleine Hikari Yagami handelte.
 

Sie war einen halben Kopf kleiner als sie. Die braunen Haare reichten ihr weit über den Rücken und der Pony brachte ihre Augen noch mehr zur Geltung.

Mimi musste zugeben, dass Hikari wirklich sehr hübsch war und sie konnte verstehen, warum Takeru so sehr von ihr schwärmte. Wenn ihr Charakter noch genauso liebevoll war wie früher....
 

„Hey Takeru! Hallo...Mimi?“

Hikari riss die Augen auf und bevor Mimi etwas erwidern konnte, war ihr die Jüngere um den Hals gefallen. Erleichtert erwiderte sie die Umarmung.

„Mimi! Ich glaub es ja nicht! Du bist es wirklich! Das ist ja eine tolle Überraschung!“, lachte Hikari und ließ sie wieder los.

„Schön, dich wieder zu sehen. Du bist ja auch so groß geworden“, Mimi lächelte sanft.

„Danke“, die Augen der Yagami strahlten, dann wandte sie sich vorwurfsvoll an ihren Freund, „wieso hast du nicht gesagt, dass Mimi mit kommt? Dann hätten wir sie doch sicher herzlicher empfangen.“

Takeru zuckte mit den Schultern, doch Hikari achtete bereits nicht mehr auf ihn.

„Kommt alle mal her. Mimi ist wieder da“, reif sie über ihre Schulter.

Man hörte einen erfreuten Aufschrei und im nächsten Moment spürte Mimi wie sie etwas hart traf und sie von den Füßen riss.

Sie sah nur noch einen Schopf rot/blonder Haare und dann die Deckenleuchten des Treppenhauses.
 

„Sora!“, lachte sie, „du erdrückst mich ja fast! Das ist eigentlich mein Part!“

„Tja, die Zeiten ändern sich“, murmelte ihre beste Freundin, die immer noch halb auf ihr drauf lag.

„Ich hab dich so vermisst“, fügte sie dann hinzu.

„Ich dich auch“, gab Mimi ebenso leise zurück. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einem grinsenden Gesicht auf sich gezogen, dass sich in ihr Blickfeld schob.

„Hi Mimi, lange nicht mehr gesehen.“

„Oh, hallo Koushiro“, sie grinste schief, „ich würde dich ja gerne auch umarmen, aber Sora wird mich heute glaub ich nicht mehr los lassen.“
 

Mimi war überrascht, dass auch Koushiro sich so verändert hatte. Er war mindestens einen Kopf größer als sie und seine Haare waren jetzt mehr braun als rot, obwohl sie immer noch in alle Richtungen von seinem Kopf ab standen. Selbst seine Stimme war viel tiefer als vorher und ließen ihn älter wirken.

Sie konnte sich gut vorstellen, dass Mädchen ihm schmachtende Blicke zu warfen. Immerhin sah er wirklich gut aus. Doch sie konnte nicht mehr für ihn empfinden, wie für einen Bruder. Das wussten beide.
 

Dann spürte sich das Gewicht von ihrem Bauch hob und sie endlich wieder befreit atmen konnte. Sie setzte sich auf und merkte, dass sich ihr eine Hand entgegenstreckte.

Langsam blickte sie auf und zuckte mächtig zusammen. Sie blickte in ein Paar brauner Augen, die einen leichten Goldschimmer hatten.

Ihr Herz flatterte wie ein Schmetterling.

Er hatte sich kaum verändert. Es umgab ihn immer noch diese beruhigende und gleichzeitig beschützenden Aura, die ihr sagte, dass ihr in seiner Nähe nichts passieren konnte.

Seine Haare standen in alle Richtungen von Kopf ab, sodass man am liebsten hindurch gefahren wäre mit der Hand. Sie musste aufpassen nicht zu seufzen, als sie das warme Lächeln sah, dass ihr fast den Verstand raubte. Schon damals war es das schönste an ihm gewesen und es erschien ihr plötzlich noch viel schöner.
 

Sie wurde rot, als sie merkte, dass sie ihn immer noch anstarrte und griff schnell nach seiner Hand. Eine angenehme Wärme kroch ihren Arm hinauf bis sie ihren ganzen Körper ausfüllte. Ihre Wangen brannten.

Mit einem Ruck hatte er sie auf die Beine gezogen. Stark war er auch noch. Sie ließ ein überraschtes Quietschen hören, als er sie direkt in eine feste Umarmung zog. Ich Herz machte regelrecht einen Flick Flack.
 

„Hallo, Mimi. Schön dich wieder zu sehen. Wir alle haben dich wirklich schrecklich vermisst“, flüsterte er so nah an ihrem Ohr, dass sein Atem kitzelte und bei ihr Gänsehaut verursachte.

„Ja, ich euch auch, Taichi“, murmelte sie so leise, dass nur er es hören konnte.

Sie war enttäuscht, als er sie wieder los ließ.
 

Ihre Gedanken wirbelten bunt durcheinander, während sie immer noch in seinem Blick gefangen war. Wärme, Freude, Liebe...so viel war in dem Braun zu lesen.

Dann wurde ihr bewusst das die anderen ja auch noch da waren und sie schüttelte energisch den Kopf.

Nein, das durfte nicht passieren. Nicht nach all den Jahren, in denen sie versucht hatte nicht allzu oft zu denken. Jetzt stand er vor ihr und das ganze sollte von vorne los gehen?
 

„Vielleicht sollten wir mal wieder rein gehen“, wurden ihre Gedanken von Hikaris Stimme unterbrochen, „dort kann Mimi vielleicht besser erzählen, was sie so getrieben hat.“
 

Etwas später saßen sie in der Sofaecke der Yagamis und knabberten Kekse (die ausnahmsweise mal sehr erträglich schmeckten) und erzählten sich lustige Geschichten aus der Vergangenheit.

Über ihre Zeit als Digiritter, sowie die Erlebnisse im Alttag, wie in der Schule oder Freizeit. Mimi saß dabei zwischen Koushiro und Sora auf dem Sofa und fühlte sich so gelöst wie schon lange nicht mehr. Ihre Freunde hier waren so anders, als die, die sie in Amerika gefunden hatte.

Nicht, dass sie nicht auch nett waren, aber die hatten eben noch nicht so viel mit ihr durch gemacht. Sie hatten nicht gegen böse Digimon gekämpft und wussten auch nichts von der Digiwelt und all ihren schönen Landschaften. Es war wirklich etwas besonderes.
 

„Ist alles in Ordnung, Mimi?“, fragte Koushiro nach einiger Zeit besorgt.

„Ja, wieso?“, sie blickte ihn erstaunt an.

„Du hast lange nichts mehr gesagt“, meinte er schulterzuckend.

„Ja, sonst redest du doch immer wie ein Wasserfall“, fügte Takeru lachend hinzu. Mimi lächelte bloß:

„Ich bin eben nur froh wieder mit euch zusammen zu sein. Das ist alles.“

„Und es ist auch schön dich wieder in unsere Nähe zu haben“, erwiderte Taichi ihr Lächeln und alle anderen stimmten ihm nickend zu. Mimi wurde rot um die Nase. Das wirklich das schönste, was er je zu ihr gesagt hatte, auch wenn er das vielleicht nicht wusste.
 

Der Nachmittag wurde noch ziemlich witzig, als sie anfingen Karten zu spielen. Es stellte sich heraus, dass Taichi ein schlechter Verlierer war und anderen immer wieder vorwarf zu schummeln.

„Hey, Hikari! Die Karte hast du dir heimlich genommen, die kannst du unmöglich gehabt haben!“

„Erzähle keinen Blödsinn, Taichi. Ich habe nicht geschummelt und die anderen können es beweisen!“

„Die Betrügen mich doch auch die ganze Zeit! Sind hier alle eigentlich gegen mich?“, er sah gespielt vorwurfsvoll in die Runde und sie brachen in großes Gelächter auf. Ja, es war immer noch so lustig wie früher und Mimi fand es wirklich schade, als Sora und Koushiro sich auf den Weg machen wollten.

„Meine Mutter möchte unbedingt, dass ich mit ihr einen neuen Computer kaufen gehe. Ihr alter funktioniert nicht mehr und ohne mich ist sie auf der Suche nach einem guten Angebot leider aufgeschmissen“, meinte Koushiro entschuldigend.

„Sei mir nicht böse, aber ich habe Morgen ein Tennismatch und möchte unbedingt noch zum Training“, meinte auch Sora bestürzt, „wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, dann hätte ich das Match abgesagt:“

„So ein Quatsch!“, meinte Mimi geschockt; „Das ist doch wichtig! Ich mache euch doch gar keinen Vorwurf. Wir werden doch sicher nochmal die Gelegenheit haben uns zu treffen.“

Damit umarmte sie einen nach dem anderen und sie waren nur noch zu viert.
 

„So, was wollen wir jetzt machen?“, Taichi blickte fragend in die Runde.

Mimi zuckte nur mit den Schultern, während Hikari und Takeru einen schnellen Blick wechselten.

„Ehrlich gesagt wollten wir nochmal kurz unsere Matheaufgaben vergleichen“, meinte Hikari.

Ihr Bruder zog eine Augenbraue hoch:

„Du hast heute gar keine Aufgaben gemacht, Schwesterherz.“

„Ähm,ja...also...“, stammelte Hikari und kratzte sich auf der Nase, „die habe ich gestern schon gemacht. Komm Takeru.“

Damit zog sie den Blonden in ihr Zimmer und eine verdutzte Mimi sowie ein absolut misstrauischer Taichi blieben zurück. Mit ärgerlichen Gesichtsausdruck starrte er auf die Zimmertür seiner kleinen Schwester.

„Klar, Hausaufgaben“, brummte er. Er schien völlig vergessen zu haben, dass Mimi immer noch da war, deswegen räusperte sie sich leise.
 

Er zuckte zusammen und drehte sich verlegen zu ihr um:

„Entschuldigung. Hast du vielleicht Lust eine Runde Mensch-Ärger-Dich-Nicht zu spielen?“

Er lächelte, doch sie sah, dass es nicht wirklich echt war.

„Taichi, du musst nicht nur aus Höflichkeit mich beschäftigen. Es ist vielleicht besser, wenn ich auch gehe. Es ist schon spät“, damit stand sie auf.

„Das hast du falsch verstanden“, meinte er und sprang ebenfalls auf, „ich hab dich nicht nur aus Höflichkeit gefragt, sondern weil es wirklich Spaß macht mit dir etwas zusammen zu unternehmen?“

Diesmal sah sie, dass sein Lächeln ernst war und erwiderte es leicht. Für einen Moment verhakten sich ihre Blicke ineinander und Mimi kam es so vor, als würde die ganze Welt sich plötzlich langsamer drehen als zuvor.
 

Doch dann musste sie blinzeln und der Moment war so schnell zu Ende wie er gekommen war. Verlegen setzte sie sich ihm gegenüber und beobachtete ihn dabei wie er das Spielfeld aufstellte.

„Du nimmst doch sicher die roten Figuren, oder?“, fragte er.

„Ähm, ja. Wie kommst du darauf?“, fragte sie überrascht. Er lächelte breit:

„Weil das deine Lieblingsfarbe ist. Pink und rot. Da es pink nicht gibt, können es nur die roten sein.“

„Das weißt du noch?“, ihr Herz machte einen Hüpfer.

„Klar“, er lachte leise, „du magst rot genauso sehr wie du gelb hast. Ich weiß noch wie deine Mutter dir zu deinem elften Geburtstag dieses gelbe Kleid geschenkt hast. Auf deiner Party hast du absichtlich Ketchup darauf gespritzt, damit du es nicht tragen musst.“

„Ja, ich erinnere mich“, kicherte sie, „sie ist richtig wütend geworden. Doch dann hast du ihr vorgeschlagen, dass man es doch einfach rot färben kann. Sie wollte diesen Vorschlag nicht wirklich gut heißen, deswegen hast du die Ketchupflasche genommen und den Inhalt über dem ganzen Kleid verteilt.“

Jetzt konnten sich beide nicht mehr beherrschen und begannen zu lachen bei der Erinnerung.
 

„Ich hab das Kleid übrigens immer noch“, murmelte sie nach einiger Zeit, nachdem sie sich wieder beruhigt hatten. Und das stimmte sogar. Es hing ganz hinten in ihrem Kleiderschrank. Ihre Mutter hatte es schon längst entsorgen wollen, aber aus irgendeinem Grund hing Mimi sehr daran und hatte es vor der Altkleidersammlung bis jetzt immer retten können.

„Hinein passen tust du aber sich nicht mehr, oder?“, er grinste verschmitzt.

Sie schnaubte und funkelte ihn an:

„Soll das etwa heißen ich bin dick geworden?“

„Nein, nein“, stammelte er mit rotem Gesicht und hob beschwichtigend die Hände, „i-ich meine...also...du siehst du aus...ich...“

„ich weiß schon was du meinst“, lachte sie. Er atmete erleichtert aus, dass er ihr nicht noch mehr erklären musste.
 

„Taichi?“, ihre Stimme war leise.

„Ja? Was ist?“, er blickte sie fragend an. Sie kratzte all ihren Mut zusammen. Sie musste ihn einfach fragen, sonst würde sie umkommen vor Neugier.

„Darf ich dir eine persönlich Frage stellen?“

„Natürlich, schieß los“, er lächelte auffordernd.

Mimi nickte und fixierte mit ihren Augen einen Punkt an der Wand hinter ihm. Sie schaffte es einfach nicht ihm in die Augen zu blicken.

„Damals...als wir noch jünger waren, da...also da, da hast du mich irgendwie nie wirklich beachtet. Wieso?“, stammelte sie und spürte so etwas wie Erleichterung, als die Frage endlich laut ausgesprochen war.

Aber sofort hatte sie wieder Bammel vor seiner Antwort.
 

Es herrschte eine gespannte Stille und sie fragte sich, ob er ihr überhaupt zugehört hatte. Sie schielte in seine Richtung und sah, dass sein Blick irgendwie verloren war, als wäre er plötzlich ganz wo anders.

„Hast du mir zugehört?“, hakte sie nochmal nach, aber immer noch ohne ihn anzusehen.

„Ja“, meinte er monoton, „und ich überlege gerade, was du damit meinst. Mir ist das nie aufgefallen, weißt du.“

Sie seufzte und schloss kurz die Augen, um die Worte in die richtige Reihenfolge zu bringen:

„Es kam mir jedenfalls immer so vor, als wäre ich nur Luft für dich gewesen. Du hast nie wirklich ein Wort mit mir gewechselt und besonders schlimm war es immer, wenn Sora in der Nähe war.“

Den letzten Teil hätte sie am liebsten nicht gesagt, aber jetzt war er ihr heraus gerutscht und sie konnte es nicht mehr rückgängig machen. Sofort wünschte sie sich, gar nicht erst mit dem Thema angefangen zu haben.

„Aber Mimi“, murmelte Taichi überrascht und blickte sie endlich direkt an. Mit einem Blick, als würde er sie zum ersten Mal sehen.

„Bist du etwa eifersüchtig? Auf Sora?“

„Nein“, zickte sie, „das habe ich doch gar nicht gesagt.“

„Aber es klang eben so“, meinte er und blieb immer noch ernst dabei. Das verunsicherte sie. War sie wirklich so durchschaubar. Als sie ihm nicht antwortete, stand er auf und setzte sich neben sie.

Sie zuckte überrascht zusammen und wagte es nicht mal zu atmen, als er ihr ernst in die Augen blickte:

„ich weiß nicht wie du auf die Idee kommst, dass ich dich nie bemerkt habe, aber du sollst wissen, dass es bestimmt nicht so war. Oder hast du vergessen, wie das damals war, als du ein Zeit lang die Karaoke – Prinzessin sein durftest? Wenn ich dich ignoriert hätte, dann hätte ich doch niemals Jou geholfen dich wieder zurück auf den Boden zu holen, oder?“
 

Sie schüttelte den Kopf und blickte verlegen zu Boden. Natürlich erinnerte sie sich auch daran. Wie groß ihre Angst gewesen war, von ihren Freunden im Stich gelassen zu werden.
 

„Von Anfang an war ich von dir beeindruckt, Mimi. Ich meine du bist so ein toller Mensch und auch wenn du uns manchmal auf die Nerven gefallen bist, dann warst du doch trotzdem immer für uns da, oder? Für die anderen, für mich. Wie hätte ich dich da ignorieren können?“

„Meinst du das ernst?“, fragte sie leise und blickte ihn scheu an. Ein Lächeln umspielte seine Lippen:

„Sonst würde ich dir das doch nicht sagen, oder?“

„Und Sora?“, ihre Stimme war fast ein Flüstern.

Nervös vergrub sie ihre Fingernägel in ihrer Hose und kam sich auf einmal ziemlich dumm vor, weil er ihr gerade deutlich gemacht hatte, dass sie sich all die Jahre geirrt hatte. Sie schien wirklich nie unsichtbar für ihn gewesen zu sein.
 

„Was hast du immer mit Sora?“

„I-ich...sie...äh...du warst doch immer in sie verknallt....“, stammelte sie.

Er lachte leise und sie blickte überrascht auf. Ihre Blicke begegnete sich und sie las so etwas wie Verlegenheit in seinen Augen. War er irgendwie noch näher in ihre Richtung gerutscht?

„Ja, ich habe ein bisschen für Sora geschwärmt“, gab er zu und ihr Herz rutschte in den Abgrund.
 

Sie hatte es doch gewusste. Auch wenn er sie nicht unsichtbar für ihn gewesen war, dann immer so ein Freund wie Yamato oder Jou. Nie wie Sora. Von der er so beeindruckt war, dass er sie immer wie ein verliebter Hund anstarrte.

Mimi zitterte etwas und wandte ihren Blick ab. Vielleicht war sie ja doch eifersüchtig. Aber nur ein bisschen.
 

„Aber es war eben nur eine Schwärmerei. So etwas vergeht. Aber das was zwischen ihr und Yamato ist, da hätte ich mir noch so sehr einreden können, dass ich bei ihr eine Chance gehabt hätte. Und wenn ich so überlege, glaube ich, dass das auch ganz gut so ist.“

„Wieso?“

„Na, weil das nie gut gegangen wäre. Sora und ich sind eben da zu bestimmt nur Freunde zu sein“, er grinste sie schief an.

Sie wusste nicht, was sie daraufhin antworten sollte. Ein teil von ihr wollte ihm unbedingt glauben, aber ein anderer sagte ihr, dass er immer noch Lügen hätte können.

„Außerdem...“, sagte er langsam und suchte nach etwas in ihrem Blick.

„Ja?“, hauchte sie und wagte es kaum zu atmen vor Anspannung.

„Außerdem gibt es da jemanden den ich mehr mag“, murmelte er und beugte sich zu ihr vor. Sein Atem strich über ihren Mund und sie konnte erst gar nicht begreifen, was gerade passierte.
 

Sanft legte sich seine Hand auf ihr Knie und er beugte sich noch mehr vor. Kurz bevor sich ihre Lippen berührten, schrillten Mimis Alarmglocken.

Erschrocken stieß sie ihn von sich und sprang auf.

Taichi starrte sie überrascht und etwas benommen an. Sie wusste nicht genau, was sie sagen sollte, aber sie hatte nur einen Gedanken: Weg von hier.
 

„Ich...ich...Taichi...es tut mir Leid....“, damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ fast fluchtartig die Wohnung. Tränen liefen über ihre Wangen und sie knickte ein paar Mal um, weil ihr Absatz mal wieder fiel zu hoch zum Rennen war.

Sobald sie draußen war, schmiss sie ihre Schuhe beiseite und lief barfüßig weiter. Auch wenn sie wusste, dass das eigentlich wirklich unvernünftig war, wusste sie sich nicht anders zu helfen. Sie rannte ziellos die Straße entlang und konnte immer noch nicht verstehen, was eben geschehen war. Fast hätte er sie geküsst. Fast.

Sie war noch nie so verwirrt gewesen. Auch wenn sie ihn gerne geküsst hätte, wusste sie doch das es falsch war. Sie wollte nicht die zweite Wahl sein. Nicht, wenn er immer noch Sora mochte.
 

Sie stoppte, als sie bemerkte, dass sie automatisch zu ihrem Lieblingsspielplatz gerannt war. Sie atmete schwer und ging einige Schritte langsam vorwärts. Obwohl die Sonne bereits unterging, war der Sand immer noch warm und fühlte sich angenehm unter ihren nackten Füßen an.

Hätte jemand gesehen wie sie jetzt barfüßig über den Sand tänzelte und sich schwungvoll auf eine der Schaukeln fallen ließ, hätte er sie sicher für verrückt gehalten. Ein siebzehnjähriges Mädchen, dass abends alleine und barfüßig auf einer Schaukel saß. Bedauernswert.

Und so fühlte sie sich auch.
 

Sie musterte nachdenklich ihre Füße, während sie langsam vor und zurück schaukelte.

Selbst wenn Taichi den Kuss ernst gemeint hätte, dann wäre es doch zu schmerzhaft gewesen. Immerhin würde sie Tokio bald wieder verlassen und das letzte, was sie gebrauchen konnte war jetzt auch noch der größte Trennungsschmerz ihres gesamten Lebens. Es wäre einfach eine Beziehung gegen jede Vernunft gewesen.

Mimi schmunzelte als sie merkte, wie kitschig, dass doch alles klang. Obwohl die Situation wirklich nicht zum Lachen war.

Und wenn sie dann erstmal wieder in Amerika war, würde er sie schnell wieder vergessen haben. Wahrscheinlich fand er dann ein anderes Mädchen, dass ganz unmittelbar in seiner Nähe war. Und sie würde auf der anderen Seite der Welt hocken und sich die Augen aus heulen. Wegen eines Jungen, der es nicht ernst mit ihr meinte.
 

„Mimi?“, flüsterte eine Stimme.

Sie brauchte nicht mal den Kopf heben und sie wusste wer es war. Die Person, die sie jetzt als allerletztes sehen wollte.

„Verschwinde. Ich möchte alleine sein?“, fuhr sie ihn an.

Doch anstatt zu gehen, hörte sie wie die Ketten der Schaukel neben ihr leise rasselten.

„Mimi, warum bist du abgehauen?“

Seine Stimme war ernst und leise. Sie antwortete nicht. Was hätte sie ihm auch sagen sollen?
 

„Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken, oder so“, startete er einen neuen Versuch, „es ist eben so über mich gekommen. Ich konnte nicht anders, weil...“

Seine Stimme versagte und der Satz hing unbeendet zwischen ihnen.
 

„Ich kann einfach nicht“, murmelte sie nach einiger Zeit und schaukelte leicht vor und zurück. Der Wind fuhr ihr sanft durch die Haare und in Gesicht. Eine laue Abendbrise.

„Warum nicht? Bitte, sag es mir. Ich möchte es verstehen.“

Sie drehte ihren Kopf von ihm weg und lehnte ihre Schläfe gegen das kalte Metall der Schaukelkette.

„Das wirst du nie. Ich habe dich schon immer sehr gemocht, Taichi, und hätte für so einen Moment wie vorhin bestimmt alles gegeben. Aber ich bin eben nicht mehr das naive zehnjährige Mädchen. Ich weiß, dass es nie klappen würde. Erstmal liegen zwischen Japan und Amerika zu viele Kilometer und zweitens möchte ich nicht die Zweitwahl sein.“

„Aber Mimi-“

„Nein“, fuhr sie ihm hartnäckig über den Mund, „vielleicht hast du Recht damit, dass ich eifersüchtig auf Sora gewesen bin. Aber du musst auch mal einsehen, dass ich jeden Grund dafür hatte. Ich habe Augen im Kopf. Ich habe gesehen wie du sie früher immer angesehen hast und ich immer nur Luft war. Auch wenn es sich heute geändert haben mag, möchte ich nicht, dass letzte Stück Pizza in der Schachtel sein.“

Sie konnte hören wie Taichi kurz über ihren Vergleich kicherte, sich jedoch dann wieder fing und ernst wurde.
 

„Jetzt schau mich mal an, denn du hast dir da mal wieder etwas absolut falsches zusammen gereimt.“

„Ach ja?“, sie wirbelte mit einem Ruck herum und wurde auf der Stelle rot. Ihre Nasen waren sich so nahe, dass vielleicht gerade so ein Stück Papier dazwischen gepasst hätte.

„Ja“, meinte er fest, „als ich dich heute wieder gesehen habe. Habe ich Sora nicht mal bemerkt, obwohl sie sogar auf dir lag. Was ich für sie gefühlt habe, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich für dich fühle. Erst seit du wieder zurück bist, habe ich das Gefühl komplett zu sein. Als wären die letzten zwei Jahre bloß verschwendet gewesen.

Du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr es mich fertig gemacht hat, als du und eine Familie damals weggezogen ist. Und wenn du mir nicht glaubst, dann frag Hikari.

Sie macht sich nämlich immer heute noch lustig darüber, wie sehr ich dir hinterher getrauert habe.

Ich wollte dir nämlich damals schon sagen, wie sehr ich dich mag. Aber heute weiß ich es besser: Ich mag dich nicht nur, sondern ich liebe dich.“
 

Daraufhin war Mimi baff. Er hatte ihr gerade seine Liebe gestanden und sie saß da und fühlte sich schlechter denn je. Er hatte seine Worte wirklich ernst gemeint. Er hatte sie wirklich schon immer gemocht und sie hatte sich solche Gedanken gemacht, dass er Sora liebte.

Aber es war nicht Sora neben der er jetzt in der Dämmerung hockte und der er ein Liebesgeständnis machte. Es war sie. Sie. Sie. Sie. Mimi Tachikawa.
 

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, gestand sie.

„Ich aber“, er grinste schief, „nämlich gar nichts mehr.“

Und bevor sie etwas tun konnte, hatte er ihre Schaukel an sich ran gezogen und sie Geküsst. Mitten auf den Mund. Seine Lippen waren weich und warm und sie schloss automatisch die Augen.

Es war so, als würden sie plötzlich schweben. Unter ihnen Tokio. Ganz weit weg. Und versunken in einem rot/gelben Feuer.
 

Als sie sich wieder von einander gelöst hatte, lehnte er seine Stirn an ihre und lächelte glücklich.

„Glaubst du mir jetzt, dass du niemals unsichtbar für mich warst?“

„Ja“, murmelte sie und schloss wieder die Augen. Sie fühlte sich endlich richtig zu Hause.

„Hier sind übrigens deine Schuhe“, murmelte er, „aber wenn du willst kann ich dich auch tragen, Cinderella.“

Beide lachten. Manchmal war es eben doch wie im Märchen.
 

Drei Wochen später :
 

„Und schreib mir mal.“

„Klar, Großmutter. Wie könnte ich nicht?“, lachte Mimi und umarmte sie.

Heute war also der Tag ihrer Abreise und sie hätte nicht zufriedener sein können. Es lagen die schönsten drei Wochen ihres Lebens hinter ihr und außerdem würde sie bald ihre Eltern wiedersehen, die sie wirklich schrecklich vermisste.

Doch etwas verpasste ihrer Hochstimmung einen Dämpfer. Und der Grund dafür war ungefähr eins fünfundsiebzig groß, hatte braune Haare und schaute sie aus seinen braunen Augen so traurig an, dass ihr Herz fast in Tausend Splitter zerbarst.

Der schwerste aller Abschiede stand ihr jetzt noch bevor und sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Die Tränen liefen ihr Literweise übers Gesicht.
 

„Hey, Mimi!“, meinte er bestürzt und schloss sie fest in seine Arme.

„Noch, bist du doch da“, murmelte er und strich ihr über die Haare.

„Ja, aber ich hasse diese kitschigen Abschiedszenen am Bahnhof. Da muss ich immer weinen“, schluchzte sie.

Als er lachte, vibrierte sein Brustkorb und sie wusste, dass sie dieses Gefühl ebenfalls vermissen würde.
 

„Wir sehen uns doch schon bald wieder“, meinte Taichi und wischte mit seinen Daumen vorsichtig einige Tränen aus ihrem Gesicht.

„Aber erst in einem Monat“, jammerte sie und hielt sich an seinem Kragen fest. Sie wollte ihn einfach nicht los lassen.

„Vielleicht lassen mich meine Eltern schon früher fliegen. Immerhin passiert in der letzten Ferienwoche sowieso nichts mehr.“

„Taichi Yagami. Du wirst auf keinen Fall die Schule schwänzen“, hörte er die strenge Stimme seiner Mutter hinter sich, die mit den anderen eine Art Halbkreis um sie gebildet hatten.
 

Taichi verdrehte die Augen und Mimi kicherte leise, während sie ihre Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub. Er zog sie noch dichter an sich heran und küsste sie auf die Stirn.

Der Zug gab ein drängendes Pfeifen von sich. Viel Zeit blieb ihnen nicht mehr.

„Versprich mir, dass du nicht mit anderen Jungen schaukelst, ja?“

„Ich verspreche. Dafür musst du mit mir aber noch Mensch-Ärger-Dich-Nicht spielen, wenn du zu uns kommst, ja?“

„Versprochen“, er küsste sie nochmal so liebevoll wie möglich und dann half er ihr ihren Koffer in den Zug zu hieven.
 

Als sie in ihrem Abteil das Fenster öffnete, griffen sie noch einmal nach ihren Händen bis sich der Zug in Bewegung setzte. Irgendwann musste Taichi sie los lassen und er winkte ihr noch so lange hinterher bis der Zug am Horizont verschwunden war.

„Siehst du. Ich hab dir doch gesagt es war eine gute Idee Hausaufgaben zu vergleichen“, meinte Hikari mit einem Augenzwinkern in Takerus Richtung.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Kazuha
2010-10-01T13:53:33+00:00 01.10.2010 15:53
halloooo :)
ich mag deine geschichte sehr! ich bin zufällig darüber gestolpert; seit kurzer zeit bin ich völlig verrückt nach tai/mimi.
der oneshot hat mir richtig gut gefallen, vor allem fand ich mimis inneren konflikt toll, nachdem tai sie fast geküsst hat. mein lieblingssatz ist glaub ich: "Auch wenn es sich heute geändert haben mag, möchte ich nicht, dass letzte Stück Pizza in der Schachtel sein.“
schön fand ich auch: „Ja, aber ich hasse diese kitschigen Abschiedszenen am Bahnhof. Da muss ich immer weinen“, schluchzte sie. (denn das geht mir ähnlich :'D)
und das ende war sehr genial, mit kari und tk ;) schööööön gemacht!
weiter so!
Von: abgemeldet
2010-02-04T23:25:28+00:00 05.02.2010 00:25
Eben erst habe ich deine FF gefunden, musste sie mir durchlesen und war so was von fasziniert, was ich immer noch bin.
Du hast alles so wunderschön beschrieben, ich war gefesselt, konnte nicht mehr aufhören zu lesen:)
Ganz großes Lob an dich^^
Wäre suppi wenn du noch so eine tolle FF zu Tai&Mimi schreiben würdest:)
Ich würde es auf jeden Fall lesen!

Liebe Grüsse

Kaguya
Von:  Hatsu-chan
2010-01-31T20:12:32+00:00 31.01.2010 21:12
was für eine geile ff, hat richtig spaß gemacht sie zu lesen schon alleine weil es um mein lieblings pairing ging.
mimi ist richtig toll geworden, viel erwacksener und tai wie immer süß, stuhr, liebevoll und witzig.
deinen schreibstiel fahde ich auch richtig gut, du hast viele dinge schön beschreiben, chraktereigenschaften gut hingestellt und die sprüche wahren der hammer und vor allem viele neue einfähle.
alles in ganzen fande ich die ff wirklich toll, vielleicht und ich hoffe es doch mal lese ich demnähst mal wieder was von dir und wen es zu michi währe um so lieber (was mich da erstaunt den ich hab gesehen das du ein taiora fan bist, würde mich gerne mal interessieren warum du dan eine michi geschreiben hast^^, vielleicht kannst du mir ja das mal erklähren)

lg
Von: abgemeldet
2010-01-29T23:24:10+00:00 30.01.2010 00:24
OMG Ich bin überwältigt, Michi 4ever!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Meine Güte ich will mehr haben, warum schreibst du nicht weiter, ich sterbe, die müssen sich doch wiedersehen!!!! xD
Ein ganz großes Lob meinerseits, ich bin so übertrieben glücklich diese Story gelesen zu haben.
Hoffentlich gibt es bald mehr! ;)

Liebe Grüße
tivagirl92
Von: abgemeldet
2010-01-29T22:47:54+00:00 29.01.2010 23:47
Oh wie schön, habe mich eben total gefreut mal wieder eine Fanfic mit dem Anmerk "Michi" gefunden zu haben. Und dann auch noch eine so Schöne. :D
*freu freu freu*

Ich mag deinen Schreibstil total und deine Umschreibungen sind echt der Hit. :D :D (Das letzte Stück in der Pizzaschachtel?) Hihi

Das einzigste was mich etwas verwirrt hatte war, dass Tai zwar zugab einmal für Sora geschwärmt zu haben, aber dennoch die ganze Zeit in Mimi verliebt war. Kann aber auch sein, dass ich das einfach falsch interpretiert habe. ^^°

Liebe Grüße & hoffentlich les ich bald mal wieder von dir. :D


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